Mehrmals die Woche bringe ich auch Päckchen in ein Pflegeheim, meistens Verbandsmaterial.
Und meistens sind das die Lieferungen, die mich am meisten aufwühlen.
Das Pflegeheim hat verschiedene Abteilungen auf verschiedenen Stockwerken: Senioren, pflegebedürftige jüngere Menschen und Hospizwohnungen. Und so schickt man mich in Zimmer von todkranken Menschen, die eingefallen ihren Betten liegen und sich kaum bewegen können, aber eben doch noch für ihre eigenen Pakete unterschreiben wollen. Und ein wenig reden. Über das Wetter z.B. Mit sehnsüchtigem Blick hängt man sich da an Belanglosigkeiten wie "kalter Wind" oder "Nieselregen", in den ich jetzt wieder hinaus muss und in den sie nicht mehr hinaus können. Und dann komme ich eine Woche später wieder und sie sind nicht mehr da. Und stattdessen unterschreibt mir eine Schwester die Annahmeverweigerung und ich trage das Päckchen und einen Kloß im Hals zurück ins Auto.
Im Altenheim gibt es eine Frau, die mich immer sehr stürmisch begrüßt. Sie ist taub, sitzt im Rollstuhl und auch nur noch ein Arm bewegt sich so, wie sie das gerne möchte. Mit den Füßen tritt sie ihren Rollstuhl immer auf mich zu, streckt den einen Arm aus, zeigt auf die Pakete und ruft erwartungsvoll. Und dann schüttel ich den Kopf, weil nichts für sie dabei ist. Nie. Und dann dreht sie ihren Rollstuhl um und fährt traurig schimpfend davon. Normalerweise passiert das immer, wenn ich auf ihrem Stockwerk aus dem Fahrstuhl steige. Doch heute hat sie sogar schon unten in der Eingangshalle gewartet und hat heftiger auf mein Kommen reagiert als sonst und stellt sich mir sogar in den Weg. Die Dame am Empfang erklärt: Es ist ihr Geburtstag und bisher hat sie weder Post noch Besuch bekommen. Und ich muss sie, wie immer, anschauen und mit dem Kopf schütteln. In ihrem Gesicht bricht alles zusammen und sie wendet sich schreiend ab. Ich muss betroffen weiter zum Fahrstuhl, und sie folgt mir, rollt mir hinterher in den Fahrstuhl. Die Türen schließen sich und einen Moment ist es still. Dann will ich ihr Alles Gute zum Geburtstag wünschen, doch nach den ersten paar Worten fängt sie zu Weinen an. Es ist ein lautes Weinen, fast schon ein Klagegeschrei, während ihr dicke Tränen über die Wangen rollen. Ich will etwas sagen, ihr eine Hand auf die Schulter legen, doch sie weicht zurück, also lasse ich es. Die Fahrt in den 3.Stock dauert ewig. Als die Türen sich wieder öffnen weint sie immer noch und rollt wütend in Richtung ihres Zimmers davon. Ein paar Senioren schauen in meine Richtung und nicken dann: Ja, der Postbote ist wieder da. Die Krankenschwester ist beschäftigt und unterschreibt nur ganz nebenbei und beachtet die weinende Frau am Ende des Flurs auch gar nicht weiter. Wahrscheinlich kennt sie das alles schon viel zu gut von vielen Situationen vorher. Mit leerem Wagen steige ich wieder in den Fahrstuhl, diesmal allein. Für einen Moment kämpfe ich mit den Tränen. Beim Rausgehen nehme ich mir vor am Wochenende ein eigenes Päckchen zu schnüren. Damit sie bei meinem nächsten Besuch etwas bekommt. Wenn sie noch da ist.