Freitag, 18. Oktober 2013

Nix gelernt?

"Und warum hast du nix gelernt?"
fragt mich eine türkische Kollegin. "Warum hast du kein Beruf?"

Ich stehe da, kratze Schokoladenreste von Plastikformen und weiß nicht genau, was ich sagen soll.
Ich hab doch gelernt. Ständig gelernt. Immer wieder gelernt. Wochen lang. Monate lang. Jahre lang. Ich habe ein Magisterzeugnis der Philosophischen Fakultät der Uni Tübingen. Aber ein Beruf ist das halt nicht.

Ich kratze weiter an Plastikformen herum und fühle mich elend. So weit hab ich also gebracht, dass ich alte Schokolade wegkratzen muss. Und es kommt noch schlimmer: Der Stapel mit den dreckigen Formen neben mir ist plötzlich riesengroß geworden. Die Kolleginnen schauen schon böse und tuscheln. Ich bin zu langsam. Ich bin überfordert. Ich kann nicht schnell genug Kratzen. Ich hab nichts gelernt. Ich könnte heulen.

Aber vielleicht hab ich doch ein bisschen was gelernt: Jetzt aufgeben gilt nicht. Ich kratze schneller, der Stapel schrumpft wieder.

Und ich lerne immer noch. Damit ich bald doch auch einen "Beruf" habe: Lehrer für Deutsch als Fremdsprache.
Ein Gespräch kommt mir wieder in Erinnerung, Anfang des Jahres im Jobcenter mit meiner Arbeitsberaterin: "Aber das ist doch kein Beruf!" Sie will mir das demonstrieren indem sie mir ein Online-Formular auf ihrem Bildschirm zeigt, bei dem sie aus einer Liste auswählen kann, bei dem angeblich alle Berufe aufgelistet sind, die es gibt. Oder für die es zumindest die Chance einer offenen Stelle gibt. Und da entdeckt sie plötzlich: Diesen Beruf gibt es ja tatsächlich. Sie stottert verlegen rum...

Ich muss wieder an dieses Gespräch denken und frage mich: Ist das wirklich der Ausweg? Oder steh ich am Ende dann eben mit Beruf am Schokolade abkratzen? Nummer sicher ist ja dann doch was anderes.
Eine Kollegin wird sauer, weil ich keine Zeit habe ihr zu helfen. Aber sie sagt nichts, sie schaut nur böse. Also schaue ich nicht hin. Dann fängt sie an, lauter zu hantieren und knallt ein paar Mal auf ihrem Tisch herum. Es ist mir egal. Ich kratze weiter so gut ich eben kann. Meine Stimmung liegt irgendwo am Boden, die könnte man auch direkt abkratzen.

Ich will nicht noch mehr lernen, wenn dann am Ende unterm Strich doch nur zum "nix" abgerundet wird.
Bin ich mir denn sicher, dass dieser Weg der richtige ist? Diese Frage schon wieder, immer wieder mal taucht sie auf. Und während ich weiter Schokolade kratze komme ich einmal mehr zu dem Ergebnis: Ich sehe keinen anderen Weg. Und ein Weg ist doch besser als keiner, oder? Besser als: Ich kratze Schokolade, meine Finger tun weh weil ich den Griff von meinem Kratzer zu fest umklammere, und trotzdem ist man nicht zufrieden mit mir.

Endlich kann ich nach Hause und stürze mich im Internet in Stellenangebote: Für mich jetzt wie ich bin gibts mal wieder so fast nichts. Für den Rest hab ich mich schon beworben.
Ich tippe "Lehrer" und "Deutsch als Fremdsprache" und bekomme rund 50 Treffer aus den Angeboten der letzten 2 Wochen. Ein paar scheiden natürlich aus (gute Französischkenntnisse, 2 Jahre Berufserfahrung, etc.), aber bei etwa 30 könnte ich mich bewerben, wenn ich meinen Beruf hätte. Endlich ein Lächeln. Ja ich bin auf einem Weg der zu einem Ziel führt. Ich hab was gelernt und ich geb nicht auf. 

Und bis dahin wird eben Schokolade gekratzt... auch wenn am Ende niemand damit zufrieden ist. Aber eigentlich ist das auch gut so.