Freitag, 4. November 2011

Wenn die Befürworter "Nein" sagen - S21 in der nächsten Runde

Gibt es eigentlich nichts wichtigeres als einen Bahnhof? Seit fast 2 Jahrzehnten nun schon in Planung, seit 2 Jahren permanente Proteste und Demonstrationen... und nun: Der Volksentscheid!

Endlich können nun alle S21-Gegner mit "Ja" Abstimmen, um ihre Ablehnung Kund zu tun!

Also wer die ganze Zeit mit "Nein" Plakaten demonstriert hat, muss nun "Ja" ankreuzen? Das hat man sich ja mal prima ausgedacht. Denn man sagt nämlich "Ja" zum Kündigungsgesetz, und das lautet folgendermaßen:

Gesetz über die Ausübung von Kündigungsrechten bei den vertraglichen Vereinbarungen für das Bahnprojekt Stuttgart 21 (S 21-Kündigungsgesetz)


§ 1 Kündigung der Vereinbarung

Die Landesregierung ist verpflichtet, Kündigungsrechte bei den vertraglichen Vereinbarungen mit finanziellen Verpflichtungen des Landes Baden-Württemberg für das Bahnprojekt Stuttgart 21 auszuüben.


§ 2 Inkrafttreten

Dieses Gesetz tritt am Tag nach seiner Verkündung in Kraft.


Dieses Gesetz hat sich die neue, Grün-Rote Regierung nun also überlegt. Allerdings: Die Grünen möchten kündigen, die SPD ist geteilter Meinung. Die Volksabstimmung zum Gesetz ein Kompromiss. Denn eigentlich ist das Parlament ja in seiner legislativen Funktion dafür zuständig, Gesetze zu verabschieden. Und das Landesparlament hat das Gesetz bereits Ende September abgelehnt, mit einer Mehrheit aus CDU, FDP und SPD.

Vereinzelt wurde bereits schon gegen diesen Volksentscheid geklagt, doch wurden die Klagen zurückgewiesen, da die Antragssteller nicht antragsberechtigt waren. Berechtigt seinen nur Landtag oder Regierung. D.h. theoretisch kann der Volksentscheid auch noch juristisch angefochten werden... wenn halt mal der Richtige klagt.

Aber was soll denn nun überhaupt gekündigt werden? Die letzte Landesregierung hatte das Land vertraglich dazu verpflichtet, auch einen Anteil am neuen Bahnhof zu bezahlen. Und zwar 824 Millionen Euro, von den insgesamt 4,1 Milliarden die das Projekt kosten soll. Und dieser Vertrag soll nun gekündigt werden. Den Bahnhof baut aber nun nicht BaWü, sondern die Deutsche Bahn. Und die bekommt dazu nicht nur Hilfe vom Land, sondern auch vom Bund und auch von der EU. (Die haben zwar alle kein Geld, das sie trotzdem ausgeben, aber das ist eine andere Geschichte.) Und Baden-Württemberg will nun nicht weiter zahlen. So einfach geht das aber auch wieder nicht, denn auf jeden Fall muss bei Kündigung des Vertrags noch eine Entschädigung gezahlt werden, die nach Hoffnung der Regierung unter 350 Millionen liegen soll. Wohlgemerkt: Mehrere Hundert Millionen Euro für nichts. Die Bahn hingegen droht mit Forderungen von über 1,5 Milliarde Entschädigung bei Vertragsverletzung. Je nachdem wie das ausgeht, ist es also nicht sicher, ob der Ausstieg des Landes nun tatsächlich günstiger kommt, denn DB wird sich zu wehren wissen: Der Bahn gehören Grundstücke die das Land angekauft hat und BaWü braucht weiterhin Züge. Der Streit wäre bei der Kündigung also noch lang nicht zu Ende.
Und übergreifend bleibt die Frage: Unterschriebene Verträge später wieder auflösen wollen, weil sie einem doch nicht passen?

Letztlich ist bei der Volksabstimmung auch noch ein weiterer Punkt zu beachten: Eine einfache Mehrheit für das Kündigungsgesetz reicht nicht aus. Insgesamt müssen die Ja-Stimmen die Nein-Stimmen überwiegen und mindestens 33,3% der Wahlberechtigen BaWüler ausmachen. Also: mindestens 2,5 Millionen müssen mit "Ja" abstimmen. Zum Vergleich: Die Grünen hatten bei der Landtagswahl "nur" 1,2 Millionen Wähler (bei einer Wahlbeteiligung von etwas über 66%).

Mehr Infos und Argumente im Pro und Contra gibt es hier:

www.bw-stimmt-ab.de

Das ganze wäre nun an sich schon kompliziert genug.
Aber nun kam man bei der Volksabstimmung letztlich auch noch auf die glorreiche Idee, dass die S21-Gegner bei der Abstimmung das "Ja" ankreuzen müssen, und die Befürworter das "Nein". Weil das juristisch so formuliert worden ist.
Das finde ich persönlich nun wirklich den Abschuss der Fehlplanung von diesem ganzen Zirkus. Das bei einem so großen Bauprojekt manches schief läuft und vieles hätte besser und sinnvoller gemacht werden können - das ist noch verständlich. Aber noch nicht mal einen Volksentscheid unmissverständlich und klar formulieren zu können, ist ein Armutszeugnis. Sag "Ja" zum Nein, oder "Nein" zum Nein, was dann letztlich ein Ja zum geplanten Weiterbau wäre. Das wird dann natürlich gleich ausgenutzt, mit inhaltslosen Videos im Kino, an denen am Ende ein "NEIN" steht (siehe unten). Wie Lustig! Da möchte man dann doch ein bischen Kotzen, denn mit Verwirrung kommen wir hier doch zu keinem Ende.
Wobei die Bahn eh schon bauen darf, was sie will, denn das steht ja gar nicht mehr zur Debatte. Und wenn über 3/4 der Finanzierung bereits unter Dach und Fach stehen, dann wird man da vermutlich schon einen Weg finden. Denn die Bahn kommt ja. Nie früher, aber später.