Im Großen und Ganzen gibt es wohl nur zwei Gründe, weshalb man längere Zeit in Tübingen verbringt: man befindet sich an der Uni oder im Krankenhaus. Daher finden sich auch an jeder Ecke Gebäude, die entweder zur Uni gehören oder aber zu den Kliniken. Man könnte also sagen, dass man nur besonders klug oder aber besonders krank sein muss, um nach Tübingen zu gelangen. Oder aber dass man sich hier den Luxus sparen kann, zwischen Genie und Wahnsinn unterscheiden zu müssen.
Wer sich also in Tübingen zu recht finden will, der muss nicht nur lernen, dass die Sprachwissenschaftler wo anders zu finden sind, als die Mathematiker, sondern dass es auch unzählige Kliniken gibt. Während einem der Unterschied zwischen Kliniken auf dem Berg und Kliniken im Tal relativ schnell auffällt (die einen sind auf dem Berg und die anderen sind im Tal), wird es schon kniffliger, wenn es um Klinik, Unfallklinik oder Medizinische Klinik geht. Als naiver Zweitsemestler (damals...) habe ich schon mal einer Frau im Auto und ihrer schwangeren Beifahrerin in den Wehen den Weg zur Kinderklinik auf den Berg erklärt, statt dem Weg zur Frauenklinik ins Tal. Wobei ich es noch immer logisch finde, dass ein neugeborenes Kind in der Kinderklinik am besten aufgehoben wäre. Aber nun gut.
So viel sei jenen gesagt, die mit Tübingen nicht so sehr vertraut sind.
Ich selbst hatte jahrelang auch gar nichts mit den Kliniken zu tun, was sich nun vor 2 Monaten aber änderte, seitdem ich immer wieder geschäftlich in so ziemlich jeder Klinik unterwegs bin. Im Kampf gegen den Hunger bin ich Pizzafahrer eines weltweit agierenden Lieferservices geworden, und dadurch dann auch damit beschäftigt, die hungrigen Mäuler in den Klinik-Betrieben zu stopfen. Und in eben dieser Mission war ich auch bis gerade eben wieder unterwegs.
Nach einem heißen und schwülen Tag kam der leichte Regen gegen 22 Uhr gerade recht, als ich mich auf dem Weg durch die Nacht zur Nervenklinik begab. Der Adresse wegen war ich etwas verwirrt, denn gleichwohl ich schon etliche Male in die Psychatrie (Hausnummer 24) geliefert habe, war mir die Nervenklinik (angeblich Hausnummer 22) kein Begriff. Aber da es in Tübingen nun wirklich für jedes Leiden eine eigene Klinik zu geben scheint, hielt ich es für nicht ganz abwägig, dass zwischen der Psychatrie für Erwachsene und dem psychotherapeutischen Zentrum für Kinder und Jugendliche nochmal eine "Nervenklinik" sein könnte. Mit dem Pizza-Mofa durch die Nacht sondierte ich also die Umgebung zwischen jenen besagten Hausnummern 24 und 20 und fand dort aber nur eine recht düstere Hofeinfahrt. Da so ein Pizza-Mofa zwar nicht besonders schnell, aber dafür umso lauter ist, wurde durch eben jenen Lärm jemand auf mich aufmerksam, der gerade aus jener dunklen Hofeinfahrt hervortrat und mir begeistert zuwinkte. Da ungeduldige Leute an ungewöhnlichen Orten schonmal dazu neigen, den Pizzaboten auf der Straße abzufangen, folgte ich diesem Mann also in den dunklen Hinterhof. Dass es andererseits vielleicht nicht ganz so ratsam sein könnte, vor einer Psychatrie so lange zu warten, bis jemand winkt, daran dacht ich zunächst nicht. Dann stand ich aber in dem dunklen Hinterhof der Psychatrie, zuammen mit jenem Mann in seiner schmuddeliggen Jogginghose und einem Kapuzenpulli.
Würde ich wirklich jedem Verrückten in irgendwelche abgelegenen Hinterhöfe hinterherlaufen, wenn sie nur freundlich winken? Fragen, die man in so einer Situation gar nicht stellen sollte. Besser Frage man dann doch den Psychatrie-Insassen, der mal kurz im Hinterhof eine rauchen wollte, wo denn die Nervenklinik sei. Ich sei absolut am richtigen Ort und er hat zwar nichts bestellt, aber er wird mir ab sofort helfen. Durch den Hintereingang soll ich rein gehen und ich soll echt aufpassen. Da drinnen ist zwar niemand verrückt, nein, wirklich nicht. Aber trotzdem sei es besser, wenn ich mich auf keine langen Gespräche einlasse. Ich soll so schnell wie möglich rein gehen, meinen Job machen und wieder raus kommen. Und er bewacht solange meinen Roller. Ohne ihn überhaupt anzufassen. Ich soll jetzt einfach da rein gehen.
Na, da stand ich dann da. Ich musste nämlich vom Mofa absteigen und meinen Helm abnehmen, um den Mann deutlicher verstehen zu können. Aber trotzdem hätte ich noch meinen Roller packen können und ums Haus herum fahren können um den Haupteingang zu nehmen und mir vom Pförtner nochmal den Weg zur besagten Station auf meinem Zettel erklären zu lassen. Oder aber ich hör auf den Verrückten im dunklen Hinterhof. Ihr kennt doch alle diese Szenen aus schlechten Filmen, wo Leute in ihrem letzten Satz sagen "Ich bin gleich wieder zurück!" Dummerweise stand der Kerl so blöd hinter dem Roller, dass ich kaum hätte wenden und wegfahren können, ohne dass er nicht genug Gelegenheit gehabt hätte, das irgendwie zu verhindern. Und außerdem bestand er ja darauf, dass ich jetzt "da rein gehen und meinen Job machen" soll. Während ich also einfach nur dastehe und nicht weiß was ich tun soll, sagt er noch was: "Gott wird mit dir sein!" Da er damit nun allerdings absolut Recht hatte, hab ich also meine Lieferung gepackt und bin in die Psychatrie rein, während er draußen mit dem Mofa allein stand (der Schlüssel war natürlich in meiner Hosentasche, keine Frage). In der Nervenklinik werde ich dann von ein paar Schwestern seltsam angeschaut, warum ich von da hinten reinkäme. Aber der Weg, den mit der Typ draußen beschrieben hat, führt mich tatsächlich schnell zu jener besagten Station, wo ich dann herausfinden muss, dass es sich bei besagter Kundin weder um Krankenschwester noch Ärztin handelt, sondern um eine Insassin. Besonders hilfsbereit ist die Nachtschwester jedoch nicht und schickt mich einfach in den Essenraum zu den Patienten. Die gesuchte Frau sitzt da aber nicht, sondern der Jan mit dem ich vor 3 Semester mal zusammen in einem Literaturseminar war (für alle, denen das was sagt: Kilcher: E.T.A. Hoffmann; Genie und Wahnsinn... Feuerkreis dreh dich....) Der gute Jan hat es also nicht ganz so weit geschafft. Aber er redet gleich mal auf mich ein und will alles ganz genau wissen: Wie viele Pizzen, welche Beläge, etc. etc. Ich kann nicht umhin zu denken: "Aber der Verrückte im Hinterhof hat gesagt, ich soll nicht mit den Leuten hier drinnen reden..." und muss mich etwas beherrschen, nicht zu lachen. Schließlich führt mich der Jan dann zu nem anderen Aufenthaltsraum, dem Raucherzimmer, wo die gesuchte Person in Gesellschaft mit drei anderen sitzt. Während sie also ihr Geld sucht, wollen sich die anderen mit mir unterhalten. Wenn ihr jemals in eine Psychatrie kommen solltet, und euch dort dann Insassen anzwinkern und sagen: "Wir sind doch nicht IRRE! Ahhhahahah...", dann denkt doch bitte an mich, und wie ich mich da wohl gefühlt haben könnte. Das Bezahlen ging dann aber problemlos, und ich konnte wieder Richtung Ausgang eilen, wo eventuell noch das Mofa auf mich warten würde... Und tatsächlich stand es da noch. Der Typ draußen hatte lediglich die Kapuze von seinem Pulli über seinen Kopf gezogen und stand wie ein Bodyguard mit verschränkten Armen vor dem Roller. Nicht nur dass ich froh war, sondern ich fand die ganze Situation auch schon wieder äußerst amüsant. Und weils jetzt auch nicht mehr drauf ankam, hab ich dann nochmal ne Weile mit dem Typ geredet und ihm gesagt, wie froh ich über seine Hilfe war. Da hat er sich total gefreut und mich in Gottes Namen gesegnet, als ich davon gefahren bin.
Das war mit Abstand die außergewöhnlichste und abenteuerlichste Lieferung bisher und hat mir wieder einmal gezeigt, wie schwierig es doch ist, die Absichten von anderen Leuten einzuschätzen.
Es grüßt:
der Christian (noch immer überwiegt das Genie dem Wahnsinn!!)
Wer sich also in Tübingen zu recht finden will, der muss nicht nur lernen, dass die Sprachwissenschaftler wo anders zu finden sind, als die Mathematiker, sondern dass es auch unzählige Kliniken gibt. Während einem der Unterschied zwischen Kliniken auf dem Berg und Kliniken im Tal relativ schnell auffällt (die einen sind auf dem Berg und die anderen sind im Tal), wird es schon kniffliger, wenn es um Klinik, Unfallklinik oder Medizinische Klinik geht. Als naiver Zweitsemestler (damals...) habe ich schon mal einer Frau im Auto und ihrer schwangeren Beifahrerin in den Wehen den Weg zur Kinderklinik auf den Berg erklärt, statt dem Weg zur Frauenklinik ins Tal. Wobei ich es noch immer logisch finde, dass ein neugeborenes Kind in der Kinderklinik am besten aufgehoben wäre. Aber nun gut.
So viel sei jenen gesagt, die mit Tübingen nicht so sehr vertraut sind.
Ich selbst hatte jahrelang auch gar nichts mit den Kliniken zu tun, was sich nun vor 2 Monaten aber änderte, seitdem ich immer wieder geschäftlich in so ziemlich jeder Klinik unterwegs bin. Im Kampf gegen den Hunger bin ich Pizzafahrer eines weltweit agierenden Lieferservices geworden, und dadurch dann auch damit beschäftigt, die hungrigen Mäuler in den Klinik-Betrieben zu stopfen. Und in eben dieser Mission war ich auch bis gerade eben wieder unterwegs.
Nach einem heißen und schwülen Tag kam der leichte Regen gegen 22 Uhr gerade recht, als ich mich auf dem Weg durch die Nacht zur Nervenklinik begab. Der Adresse wegen war ich etwas verwirrt, denn gleichwohl ich schon etliche Male in die Psychatrie (Hausnummer 24) geliefert habe, war mir die Nervenklinik (angeblich Hausnummer 22) kein Begriff. Aber da es in Tübingen nun wirklich für jedes Leiden eine eigene Klinik zu geben scheint, hielt ich es für nicht ganz abwägig, dass zwischen der Psychatrie für Erwachsene und dem psychotherapeutischen Zentrum für Kinder und Jugendliche nochmal eine "Nervenklinik" sein könnte. Mit dem Pizza-Mofa durch die Nacht sondierte ich also die Umgebung zwischen jenen besagten Hausnummern 24 und 20 und fand dort aber nur eine recht düstere Hofeinfahrt. Da so ein Pizza-Mofa zwar nicht besonders schnell, aber dafür umso lauter ist, wurde durch eben jenen Lärm jemand auf mich aufmerksam, der gerade aus jener dunklen Hofeinfahrt hervortrat und mir begeistert zuwinkte. Da ungeduldige Leute an ungewöhnlichen Orten schonmal dazu neigen, den Pizzaboten auf der Straße abzufangen, folgte ich diesem Mann also in den dunklen Hinterhof. Dass es andererseits vielleicht nicht ganz so ratsam sein könnte, vor einer Psychatrie so lange zu warten, bis jemand winkt, daran dacht ich zunächst nicht. Dann stand ich aber in dem dunklen Hinterhof der Psychatrie, zuammen mit jenem Mann in seiner schmuddeliggen Jogginghose und einem Kapuzenpulli.
Würde ich wirklich jedem Verrückten in irgendwelche abgelegenen Hinterhöfe hinterherlaufen, wenn sie nur freundlich winken? Fragen, die man in so einer Situation gar nicht stellen sollte. Besser Frage man dann doch den Psychatrie-Insassen, der mal kurz im Hinterhof eine rauchen wollte, wo denn die Nervenklinik sei. Ich sei absolut am richtigen Ort und er hat zwar nichts bestellt, aber er wird mir ab sofort helfen. Durch den Hintereingang soll ich rein gehen und ich soll echt aufpassen. Da drinnen ist zwar niemand verrückt, nein, wirklich nicht. Aber trotzdem sei es besser, wenn ich mich auf keine langen Gespräche einlasse. Ich soll so schnell wie möglich rein gehen, meinen Job machen und wieder raus kommen. Und er bewacht solange meinen Roller. Ohne ihn überhaupt anzufassen. Ich soll jetzt einfach da rein gehen.
Na, da stand ich dann da. Ich musste nämlich vom Mofa absteigen und meinen Helm abnehmen, um den Mann deutlicher verstehen zu können. Aber trotzdem hätte ich noch meinen Roller packen können und ums Haus herum fahren können um den Haupteingang zu nehmen und mir vom Pförtner nochmal den Weg zur besagten Station auf meinem Zettel erklären zu lassen. Oder aber ich hör auf den Verrückten im dunklen Hinterhof. Ihr kennt doch alle diese Szenen aus schlechten Filmen, wo Leute in ihrem letzten Satz sagen "Ich bin gleich wieder zurück!" Dummerweise stand der Kerl so blöd hinter dem Roller, dass ich kaum hätte wenden und wegfahren können, ohne dass er nicht genug Gelegenheit gehabt hätte, das irgendwie zu verhindern. Und außerdem bestand er ja darauf, dass ich jetzt "da rein gehen und meinen Job machen" soll. Während ich also einfach nur dastehe und nicht weiß was ich tun soll, sagt er noch was: "Gott wird mit dir sein!" Da er damit nun allerdings absolut Recht hatte, hab ich also meine Lieferung gepackt und bin in die Psychatrie rein, während er draußen mit dem Mofa allein stand (der Schlüssel war natürlich in meiner Hosentasche, keine Frage). In der Nervenklinik werde ich dann von ein paar Schwestern seltsam angeschaut, warum ich von da hinten reinkäme. Aber der Weg, den mit der Typ draußen beschrieben hat, führt mich tatsächlich schnell zu jener besagten Station, wo ich dann herausfinden muss, dass es sich bei besagter Kundin weder um Krankenschwester noch Ärztin handelt, sondern um eine Insassin. Besonders hilfsbereit ist die Nachtschwester jedoch nicht und schickt mich einfach in den Essenraum zu den Patienten. Die gesuchte Frau sitzt da aber nicht, sondern der Jan mit dem ich vor 3 Semester mal zusammen in einem Literaturseminar war (für alle, denen das was sagt: Kilcher: E.T.A. Hoffmann; Genie und Wahnsinn... Feuerkreis dreh dich....) Der gute Jan hat es also nicht ganz so weit geschafft. Aber er redet gleich mal auf mich ein und will alles ganz genau wissen: Wie viele Pizzen, welche Beläge, etc. etc. Ich kann nicht umhin zu denken: "Aber der Verrückte im Hinterhof hat gesagt, ich soll nicht mit den Leuten hier drinnen reden..." und muss mich etwas beherrschen, nicht zu lachen. Schließlich führt mich der Jan dann zu nem anderen Aufenthaltsraum, dem Raucherzimmer, wo die gesuchte Person in Gesellschaft mit drei anderen sitzt. Während sie also ihr Geld sucht, wollen sich die anderen mit mir unterhalten. Wenn ihr jemals in eine Psychatrie kommen solltet, und euch dort dann Insassen anzwinkern und sagen: "Wir sind doch nicht IRRE! Ahhhahahah...", dann denkt doch bitte an mich, und wie ich mich da wohl gefühlt haben könnte. Das Bezahlen ging dann aber problemlos, und ich konnte wieder Richtung Ausgang eilen, wo eventuell noch das Mofa auf mich warten würde... Und tatsächlich stand es da noch. Der Typ draußen hatte lediglich die Kapuze von seinem Pulli über seinen Kopf gezogen und stand wie ein Bodyguard mit verschränkten Armen vor dem Roller. Nicht nur dass ich froh war, sondern ich fand die ganze Situation auch schon wieder äußerst amüsant. Und weils jetzt auch nicht mehr drauf ankam, hab ich dann nochmal ne Weile mit dem Typ geredet und ihm gesagt, wie froh ich über seine Hilfe war. Da hat er sich total gefreut und mich in Gottes Namen gesegnet, als ich davon gefahren bin.
Das war mit Abstand die außergewöhnlichste und abenteuerlichste Lieferung bisher und hat mir wieder einmal gezeigt, wie schwierig es doch ist, die Absichten von anderen Leuten einzuschätzen.
Es grüßt:
der Christian (noch immer überwiegt das Genie dem Wahnsinn!!)